Eklat im Berliner Senat: Senatorin Kiziltepe muss Ernennung einer Muslim-Aktivistin zurücknehmen

Heißer Dienstag im Spannungsfeld der Berliner Identitätspolitik. Eigentlich wollte der Senat lediglich eine Bundesratsinitiative zur Verankerung des Schutzes sexueller Identität im Grundgesetz beschließen – in Artikel 3, der die Gleichheit vor dem Gesetz garantiert. Doch dann schepperte es: In der gleichen Sitzung kam es zu einem Eklat um die Benennung einer Muslim-Aktivistin in der Senatsverwaltung für Arbeit.
Hintergrund des Streits: Senatorin Cansel Kiziltepe (SPD) hatte am Vormittag eine Pressemitteilung herumgeschickt, in der es hieß, „das Land Berlin setzt erstmals eine Ansprechperson zur Bekämpfung von antimuslimischem Rassismus ein“. Doch wie sich dann herausstellte, war das nicht mit der CDU-Mehrheit oder dem Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU) abgesprochen.
Wegner stoppte dann die Ernennung. „Über das Thema gab es im Senat keine Einigkeit“, ließ er mitteilen. Seine Sprecherin verwies auf eine hochkarätig besetzte Expertenkommission des Berliner Abgeordnetenhauses, die zu dem Thema „wertvolle Arbeit“ leiste, deren Ergebnisse man nicht vorwegnehmen wolle. Die Benennung einer Ansprechperson für die Bekämpfung von antimuslimischem Rassismus ist politisch heikel. Antimuslimischer Rassismus hat sich zu einem Kampfbegriff auf dem Feld der Identitätspolitik entwickelt. Kritiker sehen darin den Versuch, den Kampf gegen Antisemitismus zu relativieren.
Am Ende musste Kiziltepe die Personalie zurücknehmen. Wie es zu dem Konflikt kommen konnte, kommentierte sie nicht. Vorgesehen für den Posten war Yücel Meheroğlu, eine 41-jährige Wissenschaftlerin mit dem Schwerpunkt Rassismus- und Vorurteilsforschung. Zuletzt war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Bundesgeschäftsstelle der Melde- und Informationsstelle Antiziganismus tätig. Dort war sie unter anderem für die Erfassung und Analyse rassistischer Vorfälle, das Monitoring sowie die Beratung von Betroffenen zuständig.
Auch der Islamexperte Ahmad Mansour, Mitglied der Expertenkommission des Parlaments und Träger des Bundesverdienstkreuzes, kritisiert seit Jahren, dass damit Muslimfeindlichkeit und Antisemitismus gleichgestellt würden.
Bis zur Klärung im Senat soll Meheroğlu nun als Ansprechperson der Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung tätig sein, hieß es.
Schwulenrechte ins Grundgesetz: Berlin startet InitiativeAber auch darum ging es in der Senatssitzung: In Artikel 3 des Grundgesetzes soll in Zukunft, geht es nach Berlin, in der Auflistung, wer nicht benachteiligt oder bevorzugt werden darf, neben Geschlecht, Abstammung, Rasse, Sprache, Heimat und Herkunft, Glaubens und religiöser oder politischer Anschauung auch „sexuelle Identität“ aufgezählt werden. Dazu will die Hauptstadt im Bundesrat am 11. Juli eine Initiative zur Änderung des Gesetzes auf den Weg bringen.
Queer-Aktivisten streiten seit Jahren für einen weitergehenden Antrag auf Änderung des Grundgesetzes, der die Nennung „sexuellen Geschlechts“ fordert. Doch das geht vielen zu weit, verabschiedet er sich doch vom Grundsatz, dass es lediglich zwei Geschlechter gebe.
Auch wenn es keine Mehrheit für die Maximalforderung gibt, sprach Cansel Kiziltepe – im Senat zuständig unter anderem für Antidiskriminierung – von „einem starken Signal“. Die Initiative stehe in der Tradition des Landes Berlin, das sich seit Jahrzehnten für Belange und den Schutz homosexueller Menschen einsetzt, so die SPD-Politikerin. Bei der Gelegenheit erinnerte sie daran, dass diese in Artikel 10 der Verfassung von Berlin eigens erwähnt sind.
Auf die Frage, warum nicht der Begriff „geschlechtliche Identität“ Eingang in den Senatsbeschluss fand, verwies Kiziltepe auf einschlägige Urteile des Bundesverfassungsgerichts. So sehe Karlsruhe „geschlechtliche Identität“ bereits in Artikel 3 geschützt.
Der Verzicht auf „geschlechtliche Identität“ dürfte die Chancen für eine Gesetzesänderung steigern. Das könnte schon deswegen hilfreich sein, weil dafür eine Zweidrittelmehrheit benötigt wird. Zuletzt war das Land Berlin 2018 allerdings mit einem ähnlichen Vorstoß der damaligen rot-rot-grünen Landesregierung gescheitert. Eine Zweidrittelmehrheit scheiterte vor allem an der Union im Bund.

Bereits vor zwei Jahren hatte sich Berlins schwarz-rote Koalition darauf verständigt, eine neue Initiative auf den Weg zu bringen. Wenige Wochen später hatte sich der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) auf dem Christopher Street Day dafür feiern lassen – um im Jahr darauf dafür beschimpft zu werden, noch nicht geliefert zu haben. Nun sei zwei Jahre lang daran gearbeitet worden, sagte Senatssprecherin Christine Richter am Dienstag.
Tatsächlich könnten die Chancen jetzt besser stehen, als 2023 oder 2018, sagt die Berliner CDU-Queer-Politikerin Lisa Knack im Gespräch mit der Berliner Zeitung. Da sei zum einen der zunehmende Druck auf queeres Leben, der sich in Angriffen und Gewalt etwa auf Pride-Paraden zeigt. Das steigere gleichzeitig die Bereitschaft anderer, Flagge und Solidarität zu zeigen, so Knack.
Die Berliner Politikerin verweist auf das Beispiel München: Dort weht vor dem bayerischen Landtag die Regenbogenfahne. „Sie steht für Offenheit, sie steht für Toleranz, und sie steht für Vielfalt und auch für Akzeptanz für queere Menschen“, sagt Landtagspräsident Ilse Aigner (CSU). „Ich glaube, der Zeitpunkt ist günstig.“
Berliner-zeitung