Flüchtlingskrise im Sudan: Warum kommen Geflüchtete nicht nach Deutschland?

Leichen über Leichen liegen auf dem Fußboden des Saudi-Krankenhauses in Al-Faschir im Westen des Sudans. Einige haben offene Verletzungen – weshalb die Menschen ursprünglich zur Behandlung in die Klinik gekommen sind. Doch als die Rapid Support Forces (RSF) am Montag das größte Krankenhaus der Stadt stürmte, erschossen sie Kranke, Angehörige, medizinisches Personal, Gebärende und Neugeborene, die auf der Geburtsstation waren. 460 Menschen wurden ermordet.
Auf einem Video ist eine Frau zu sehen, verletzt sitzt sie auf dem Boden, umgeben von Leichen und umgestoßenem Mobiliar. Sie weint und fleht. Es sind ihre letzten Momente. Ein Terrorist kommt die Treppe herunter und schießt ihr in den Rücken. Leblos bricht sie zusammen. Es sind diese Bilder, die die RSF via Telegram in die Welt schickt.
Seit April 2023 kämpft die Miliz RSF gegen die staatliche Armee SAF – wenige Jahre kooperierten sie, doch es gab Streit darüber, ob und wie die RSF in die staatliche Armee integriert werden soll. Die Folge ist die größte humanitäre Katastrophe der Gegenwart und ein Genozid, bei dem die arabisch geprägte RSF wahllos schwarze Sudanesinnen und Sudanesen foltert, vergewaltigt, tötet.
30 Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, das ganze Land befindet sich in einer Hungerkrise. 150.000 Zivilistinnen und Zivilisten wurden ermordet, mehr als 500.000 starben an Hunger durch den Krieg. Durch den Fall der 16 Monate lang belagerten (und von Hilfslieferungen abgeschirmten) Stadt Al-Faschir am Wochenende hat sich die Situation noch einmal massiv verstärkt. 300.000 Menschen leben dort und sind nun mit unsagbarer Gewalt konfrontiert.
Dennoch sind die Auswirkungen des Krieges in Deutschland nicht spürbar. „Es gibt nur eine geringe Zahl an Geflüchteten in Europa im Vergleich zum Ausmaß der Gewalt im Sudan”, sagt auch Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher von Pro Asyl.
12 Millionen Menschen gelten laut dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, UNHCR, aktuell als Vertriebene des Krieges. Die große Mehrheit, rund 8 Millionen Menschen, sucht Schutz in Flüchtlingslagern in sudanesischen Regionen, die derzeit nicht vom Krieg betroffen sind. Aufgrund der sich verschiebenden Konfliktlinien sind viele bereits mehrfach vertrieben worden.
Rund vier Millionen Sudanesinnen und Sudanesen haben laut aktuellen Daten der UNHCR den Sudan verlassen. 1,5 Millionen Sudanesinnen und Sudanesen halten sich am heutigen Tage in Ägypten auf, auch der selbst instabile Südsudan (1,2 Millionen), der Tschad (900.000) und Libyen (400.000) haben viele Geflüchtete aufgenommen. Weitere umliegende Staaten sind ebenfalls Aufnahmeländer. In Uganda, das an den Südsudan grenzt, leben heute rund 87.000 sudanesische Geflüchtete, in Äthiopien 77.000 und die Zentralafrikanische Republik 45.000.
Da die Situation in den Aufnahmeländern häufig schon für die einheimische Bevölkerung schwierig ist, ist auch die Versorgung der Geflüchteten nur unzureichend. Inzwischen sind fast eine Million Menschen, die vor der aktuellen Gewalt in den Südsudan geflohen sind, in den Sudan zurückgekehrt und hausen dort in Flüchtlingslagern. Dort kam es bereits zu einem weitreichenden Cholera-Ausbruch.
Von Beginn des Kriegsausbruchs im Sudan bis Ende 2024 sind nicht einmal 14.000 Sudanesinnen und Sudanesen nach Europa gekommen. In diesem Jahr haben laut UNHCR bisher 9535 sudanesische Geflüchtete Zypern, Griechenland, Spanien und Italien per See oder auf dem Landweg erreicht. Zum Vergleich: Insgesamt kamen 129.301 Geflüchteten in diesen Ländern an.

Wenige Tage, mehrere Jahre: Geflüchtete, die in Deutschland ankommen, sind unterschiedlich lange unterwegs. Untersuchungen zeigen, welche Routen dauern, wo Geflüchtete aufgehalten werden und welche Rolle das Geld spielt.
Die Asylzahlen generell gehen in Europa zurück, die sudanesischer Geflüchteter sind im Vergleich zum Vorjahr dagegen gestiegen. Alleine in den ersten acht Monaten 2025 kamen laut Displacement Tracking Matrix Europe der International Organization of Migration (IOM) dreieinhalbmal so viele sudanesische Geflüchtete an wie im Vorjahreszeitraum. Damit ist der Sudan auf Rang vier der Herkunftsländer und stellt sieben Prozent der neuangekommenen Geflüchteten in der EU.
Bisher hat Deutschland nur sehr wenige Geflüchtete aus dem Sudan Schutz gewährt. Laut einer Sprecherin des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge hat die Bundesrepublik im Jahr 2024 913 Geflüchtete aus dem Land registriert, bis September 2025 weitere 528 - von 124.410 Anträgen in 2025 gesamt.
Über ein Resettlement-Program der EU sollten besonders vulnerable Personen, die von der UNHCR ausgewählt wurden, sicher per Flugzeug und auf legalem Weg in die Europäische Union geholt werden. Deutschland hat sich verpflichtet, 6500 Menschen auf diese Art zu unterstützen. Allerdings gilt das Kontingent für Geflüchtete aus allen Staaten weltweit und wurde von Deutschland nie voll ausgereizt. Seit Frühjahr ist das Programm vorerst ausgesetzt.
Tareq Alaows,
flüchtlingspolitischer Sprecher von Pro Asyl
In diesem Jahr wurden 141 sudanesische Mütter und Kinder nach Deutschland gebracht. 77 der Eingereisten waren minderjährig. Ein weiterer Flug, der rund 180 Personen (die meisten davon minderjährig) transportieren sollte, wurde kurzfristig abgesagt. Pro Asyl klagt derzeit für eine der betroffenen Personen, eine alleinerziehende Mutter, die auf eigene Kosten mit ihren Kindern nach Kenia gereist war, eine Zusage für den Flug nach Deutschland hatte und dennoch nicht einreisen durfte. „Das Kontingent ist nicht verhältnismäßig – und selbst dieser geringe Anteil wird nicht erfüllt“, resümiert Alaows.
Ähnliche Dynamiken zeigen sich bei nahezu jedem Konflikt: Die meisten Geflüchteten bleiben im Land oder in den Nachbarländern. Auch wenn in Deutschland viel über die Aufnahme von syrischen Geflüchteten gesprochen wurde, sind die meisten damals nicht hierzulande, sondern in der Türkei und im Libanon unterkommen.
Das ist nun auch im Sudan der Fall. „Viele Sudanesen und Sudanesinnen wollen nahe am Herkunftsland bleiben, so gibt es etwa in Nairobi und Kampala große sudanesische Communities“, erklärt Gerrit Kurtz, Ostafrika-Forscher der Stiftung Wissenschaft und Politik, dem Mediendienst Integration. Die Communitys bestehen oft schon seit Jahren und die Geflüchteten, die eine Wahl haben, gehen dorthin, wo sie schon Personen kennen. Auch in Ägypten gibt es solche Gemeinschaften.
Für Knappe spielt noch ein weiterer Punkt eine Rolle: „Die Menschen hoffen auf eine baldige Rückkehr und Frieden, der derzeit leider nicht in Sicht ist.“

Nachdem die RSF-Miliz die Kontrolle über die Hauptstadt der Region Darfur gewinnt, herrscht Angst vor einer neuen Welle der Gewalt. Könnte sich das Land spalten? Die wichtigsten Fragen und Antworten zu dem Konflikt.
Ein Aspekt ist auch Geld – denn Flucht ist teuer und 60 Prozent der sudanesischen Bevölkerung leben in extremer Armut. „Die Menschen im Sudan können sich eine lange Flucht einfach nicht leisten, sie haben kein Geld, um Schleuser zu bezahlen“, sagt Dietmar Kappe, Sprecher der UNO-Flüchtlingshilfe.
In Europa angekommene Geflüchtete verschiedener Nationalitäten berichten, dass Schlepper für die Mittelmeerüberfahrt 500 bis 3000 Euro kassieren. Die Durchquerung der Sahara kostet 1000 bis 6000 Euro. Oft reicht ein Versuch nicht aus, weil Schlepper und Geflüchtete erwischt und zurückgeschickt werden.
Durch die schon bestehende Flüchtlingskrise in Europa hat die Europäische Union verstärkt Partnerschaften in Nordafrika geschlossen, um traditionelle Routen zu blockieren. So gibt es etwa Deals mit Libyen und Ägypten, die Geflüchtete teils mit Gewalt von einer Weiterreise abhalten. „Die traditionellen Fluchtrouten sind blockiert“, sagt Alaows, „selbst in Ägypten können sich die Geflüchteten kaum bewegen. Das zeigt, welche schmutzigen Deals die EU in Nordafrika eingeht.“
Hager Ali, Politologin am German Institute for Global and Area Studies, sagt: „Im Sudan gibt es schon seit Jahren militarisierte Konflikte und gewaltsame Übergriffe des Staates auf die Zivilgesellschaft. Die EU hat sich in all der Zeit primär darum gekümmert, dass keine sudanesischen Flüchtlinge in die EU kommen.“ Die RSF, die heute einen Völkermord im Sudan begeht, wurde mit Waffen und Geld ausgestattet, um die Landesgrenzen abzusichern.
Über traditionelle Fluchtrouten sind noch nicht so viele Sudanesinnen und Sudanesen nach Europa gekommen – das liegt auch an der Fluchtdauer. Eine Erhebung des Mixed Migration Centre zeigt, dass sudanesische Geflüchtete zu 20 Prozent länger als vier Jahre in die EU unterwegs sind. 36 Prozent benötigen zwei bis vier Jahre und 27 Prozent ein bis zwei Jahre. Die Zahlen stammen noch aus einer Zeit vor den aktuellen Blockierungen – dadurch notwendige Umwege und gestiegene Kosten verzögern die Reisedauer erneut.
Der aktuelle Krieg ist jedoch erst im April 2023 ausgebrochen – selbst vor den Blockierungen hätte die Hälfte der Geflüchteten Europa also noch nicht erreichen können.
Experten von UNHCR gehen auch davon aus, dass die Gräueltaten von Al-Faschir nicht dazu führen, dass schnell eine größere Fluchtbewegung nach Europa einsetzt. Bis sich solche Vorfälle bemerkbar machen, vergehen ebenfalls Monate bis Jahre.
rnd




