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Friedrich Merz bei Maybrit Illner: „Der Taurus wird hochgejazzt bis unterhalb der atomaren Schwelle“

Friedrich Merz bei Maybrit Illner: „Der Taurus wird hochgejazzt bis unterhalb der atomaren Schwelle“

Das Talkshow-Einzelgespräch ist wie für Friedrich Merz (CDU) gemacht. Seinen ersten Fernsehauftritt seit der Vereidigung als Bundeskanzler im ZDF bei Maybrit Illner am Donnerstagabend beginnt er spürbar entspannt. Denn es geht hauptsächlich um Inhalte; er kann sich inhaltlich präsentieren, demonstrieren, dass er souverän alles im Griff hat. Dass er, wie er es ganz am Ende über seine Regierung sagt, „entschlossen“ ist, „dieses Land gut zu regieren“.

Zu Beginn hinterfragt Illner aber genau diese Einigkeit seiner neuen schwarz-roten Koalition. Die zahlreichen sich widersprechenden Äußerungen vieler Kabinettsmitglieder allein am heutigen Tag geben ihr genug Futter, Merz zu fragen, ob die Koalition nicht jetzt schon so beginnt wie die Vorgängerregierung endete.

Es gebe eine „gute Arbeitsatmosphäre“, entgegnet Merz und zeigt sich gelassen. Man nimmt ihm das ab. Er pocht darauf, dass der Unterschied die gemeinsam im Koalitionsvertrag abgesteckten Ziele und Forderungen die Grundlage des Regierens sind und dass es vollkommen natürlich sei, dass zwei doch recht unterschiedliche Parteien wie die Union und die SPD selbstverständlich eigene politische Forderung stellten.

Aber: „Wir sprechen mit einer Stimme“, sagt Merz in diesem Kontext und wird das noch einige weitere Male sagen. Vielleicht ist das der für ihn wichtigste programmatische Akzent. In der neuen Koalition sollen Positionen sich aneinander reiben, aber wenn es darauf ankommt, gibt es keinen Streit, so sein Tenor.

„Aber Frau Illner“, ruft Merz aus

Auch, als die Außenpolitik zur Sprache kommt, die in den ersten Tagen von Merz’ Amtszeit eine große Rolle eingenommen hat, verspricht er eine gemeinsame Stimme. Diesmal meint er die wichtigsten europäischen Länder Frankreich, Polen, Großbritannien und eben Deutschland – als „Koalition der Willigen“, die der Ukraine geeint beistehen will und mit deren Regierungschefs er bereits in der ersten Woche nach Kyjiw reiste.

Das Ziel seiner diplomatischen Initiative sei aber nicht gewesen, so führt er aus, damit sofort einen Friedensschluss herbeizuführen, sondern Europa zu einen. Außerdem habe es für ihn Priorität, die Amerikaner in die diplomatischen Vorgänge einzubeziehen. Als Illner ihn auf die Widersprüchlichkeit der europäischen Sanktionen bei gleichzeitigem Öl- und Gasbezug aus Russland anspricht, ruft er aus: „Aber Frau Illner, das ist doch das Wesen eines solchen komplexen Prozesses!“

Merz legt dar, dass in der Geschichte große Kriege meist aufgrund militärischer Erschöpfung und nicht alleine wegen diplomatischer Vermittlung zu Ende gegangen seien. Inwiefern die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern, wie Merz sie noch vor wenigen Monaten ausdrücklich forderte, der Ukraine dabei helfen könnten, Russland in ernsthafte Friedensgespräche zu zwingen, kommt nicht zur Sprache.

Denn der CDU-Bundeskanzler möchte diese Diskussion nicht mehr in der Öffentlichkeit führen. Dies sei zum strategischen Nachteil Deutschlands. Und überhaupt: „Der Taurus wird hochgejazzt bis unterhalb der atomaren Schwelle.“ Marschflugkörper aus Großbritannien oder Frankreich würden es genauso tun.

Trotz aller Einigkeitsbeschwörungen und der Wünsche nach Nähe zu Amerika drückt Merz dann erneut seine Irritation über die Rede des amerikanischen Vizepräsidenten J.D. Vance bei der Münchner Sicherheitskonferenz kurz vor der Bundestagswahl aus. Er sei vollkommen überrascht von ihr gewesen und halte sie für „übergriffig“. Ein amerikanischer Vizepräsident habe Deutschland nicht den Stand seiner Demokratie zu erklären. Eine Recherche der Berliner Zeitung hatte aufgedeckt, dass Vance’ Rede offenbar viele Koalitionäre tief beeindruckte und deswegen das sogenannte „Lügenverbot“ in den Koalitionsvertrag aufgenommen worden war.

Dann fällt ein Kernsatz der Merzschen Außenpolitik: „Wir müssen jetzt unsere Interessen wahrnehmen.“ Die Wichtigkeit deutscher Interessen als Leitidee seiner Außenpolitik hatte Merz schon während einer programmatischen „außenpolitischen Grundsatzrede“ vor der Wahl betont.

Migrationspolitik: Wo ist eigentlich die Ausnahmesituation?

Das zweite bedeutsame Thema des Unionswahlkampfs war die Migration. Merz sagt bei Illner, er habe seinem CSU-Innenminister Alexander Dobrindt nicht einmal eine Anweisung geben müssen, damit dieser am ersten Tag seiner Amtszeit verstärkte Kontrollen und Zurückweisungen an den Grenzen – auch bei Asylsuchenden – anordnete. Auf die nationale Notlage angesprochen, mit der bei möglichen Gerichtsverfahren argumentiert werden muss, um diese Maßnahmen zu legitimieren, wiegelt Merz ab: Über diesen Begriff gebe es „unterschiedliche Auffassungen“.

Und sowieso seien die derzeitigen Maßnahmen bloß für eine „Übergangszeit“ angedacht, bis die europäische Lösung in Form des Gemeinsamen europäischen Asylsystems Geas umgesetzt sei. In dieser Zeit ginge es vor allem darum, „die Zahlen herunterzubringen“. Von Maybrit Illner darauf angesprochen, worin denn derzeit die Ausnahmesituation bestünde, da die Migrationszahlen bereits während der Ampelregierung gesunken seien, weiß Merz nichts Konkretes zu antworten.

Die Migrationspolitik ist fast ein dankbares Thema nach einer Woche Regierungszeit, da hier sehr konkrete Maßnahmen durchgesetzt werden konnten. Ganz im Gegensatz zur Wirtschaftspolitik, die mit ebenso großen Erwartungen aufgeladen ist – denn Deutschland steckt in einer strukturellen Krise, da sind sich die meisten Beobachter einig. Merz’ Antworten beschränken sich denn hauptsächlich auf die Wiederholung der im Koalitionsvertrag verankerten oder sogar bereits im Bundestag durchgesetzten Vorhaben. Etwa Abschreibungen für Investitionen von Unternehmen und schuldenfinanzierte Investitionen in die Infrastruktur.

„500 Milliarden Euro – das klingt erstmal viel“, sagt er über das enorme Schuldenpaket, das Schwarz-Rot noch vor der Einsetzung des aktuellen Bundestages unter Hochdruck durchgesetzt hatte. Allerdings seien die Ausgaben über mehrere Jahre verteilt und sollten durch private Investitionen ergänzt werden. Hier bleibt weiterhin vor allem das Versprechen: „Deutschland wird wieder ein interessanter Investitionsstandort.“

Rente: Wieder einmal das Prinzip Hoffnung

Nur: Wie hilft das den Bürgern mit kleinen und mittleren Einkommen? „Was tun Sie für die einfachen Leute?“, fragt Maybrit Illner. Für die sei eine umfassende Reform der Sozial- und Rentensystem notwendig, antwortet Merz. Die Beiträge stiegen, die Systeme würden aber immer dysfunktionaler. Genau eine solche Strukturreform steht jedoch nicht im Koalitionsvertrag, vielmehr wurden die Diskussionen an diverse Kommissionen verwiesen.

Er habe sich gewünscht, erklärt Merz, das Thema in Ruhe vor der Wahl vorzubereiten. Es sei aber zu groß gewesen, um es durch den frühen Zeitpunkt übers Knie zu brechen. Wieder einmal das Prinzip Hoffnung. Die Sendung schließt mit Fragen zu der Nicht-Zusammenarbeit mit AfD und Linken, auf der Merz weiterhin besteht. Auch zum Klimawandel sagt er lediglich, dass er ihn „unideologisch“ bekämpfen wolle.

Merz’ häufigste Äußerung ist am Ende die seines Wunsches nach dem Sprechen mit „einer Stimme“. Wird er zum Konsens-Kanzler? Bislang sieht es nicht danach aus. Aber zumindest im Studio von Illner bewahrheitet sich sein Wunsch: die Moderatorin spricht immer wieder seine Sätze mit, vollendet sie. „Prozesses“, schließt er etwa einmal, „Prozesses?“, wiederholt sie im selben Moment. Man könnte meinen, dass Illner und Merz an diesem Abend zumindest kurzzeitig mit einer Stimme sprechen.

Berliner-zeitung

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