Katja Hoyer über die AfD: Warum es falsch ist, Deutschlands größte Oppositionspartei zu verbieten

Unsere Kolumnistin beschreibt, wie man in Großbritannien über die neu entflammte deutsche Verbotskultur staunt. Eine Analyse.
Es gibt deutlich weniger deutsche Lehnwörter in der englischen Sprache als andersherum. Sie werden meist nur dann verwendet, wenn es kein Äquivalent gibt. „Schadenfreude“ und „Kindergarten“ sind klassische Beispiele. Ein Lehnwort, das man neuerdings wieder öfter hört, ist „Verboten“. Man sagt den Deutschen eine besondere Regulierungsgläubigkeit nach und verwendet das Lehnwort oft humorvoll für moralisch aufgeladene Verbote, die das eigentliche Problem unberührt lassen. Schaut man sich die neu aufgeflammte Debatte um ein AfD-Verbot an, scheint da was dran zu sein.
Seitdem der Verfassungsschutz vor zwei Wochen bekannt gab, die AfD als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ einzustufen (was bis zu einem Gerichtsurteil vorerst ausgesetzt ist), diskutiere ich in Großbritannien, wo ich lebe, viel darüber und stelle immer wieder fest, dass die vorherrschende Perspektive hier eine ganz andere ist als jene in Deutschland. In einem Radiointerview, in dem ich die rechtlichen Hürden für ein Parteiverbot beschrieb, unterbrach mich der Moderator und fragte, wie man überhaupt darüber nachdenken könne, die größte Oppositionspartei zu verbieten, um damit die Demokratie zu retten. Der Gedanke erschien ihm absurd.
Viele westliche Demokratien haben in den vergangenen Jahren ein Erstarken rechter Parteien und Strömungen erfahren. Anders als in Deutschland stellt man im Ausland aber nur selten Forderungen nach Parteiverboten. Im Vereinigten Königreich liegt die rechte Reform-UK-Partei mittlerweile in den Umfragen vorn und konnte kürzlich große Erfolge in Kommunalwahlen feiern. Dennoch werden keine Rufe nach einem Parteiverbot laut. Weil die Partei hauptsächlich auf das Thema Zuwanderung ausgerichtet ist, was den Wählern laut Umfragen nach Lebenshaltungskosten die zweitwichtigste Problematik ist, hat Premierminister Keir Starmer von der links-mittigen Labour Partei jetzt einen härteren Migrationskurs eingeschlagen. Das kann man als ‚den Rechten nachlaufen‘ betiteln, so wie es die Taz tat, oder man kann es als demokratisch bezeichnen, wenn der Regierungschef auf weite Teile seiner – womöglich sonst bald ehemaligen – Wählerschaft reagiert.
Wie in Großbritannien kommen auch in Österreich die wenigsten auf die Idee, den wachsenden Unmut einiger Wählergruppen mit Verboten einzudämmen. So schrieb Nina Horaczek, Chefreporterin des linksliberalen Wochenblatts Der Falter, zum Aufstieg der AfD und ihrem österreichischen Pendant, der FPÖ: „In Deutschland führt es zu einer Verbotsdiskussion. In Österreich zu Schulterzucken.“ Die Autorin verurteilt die FPÖ scharf, gibt aber zu bedenken, dass man „bei aller legitimen Kritik“ an der Partei nicht vergessen dürfe, dass sie „nicht die Nachfolgepartei der NSDAP“ sei. „Ein Verbot löst zudem nicht das Grundproblem“, so ihr Fazit. Das läge darin, dass sich die Gesellschaft verändert habe.
Auch die SPD wurde verbotenFreilich kann man auf die NS-Zeit verweisen und argumentieren, dass Deutschland deshalb empfindlicher reagiert als andere Länder – aber der Hang zu Parteiverboten reicht in Deutschland zurück in Zeiten, als Hitler noch nicht einmal geboren war. Parteiverbote sind Teil der deutschen Demokratiegeschichte. Es gab sie in jedem politischen System, das Deutschland seit seiner Staatsgründung 1871 durchlaufen hat. Probleme gelöst haben Parteiverbote noch nie.
Ausgerechnet die SPD sollte das wissen, denn deren Vorgängerin wurde 1878 unter Otto von Bismarck verboten und ging am Ende gestärkt daraus hervor. Arbeiterparteien gründeten sich in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts überall in Europa, um der Verelendung des immer größer werdenden städtischen Proletariats eine Stimme zu geben. Bismarcks Gesetz „wider die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ ging komplett nach hinten los. Die Unterstützung für die Arbeiterpartei wuchs, und nachdem das Gesetz 1890 auslief, gründete sich die SPD einfach neu und wurde bis 1912 zur mit Abstand größten Partei im Reichstag. Das Verbot hatte schließlich den Unmut der Wähler, der den Aufstieg der SPD begründete, nicht mitverbieten können.
Die Verbotskultur in DeutschlandDie NSDAP, mit der die AfD ja oft verglichen wird, war ebenfalls in den frühen 1920er-Jahren, vor und nach Hitlers gescheitertem Putschversuch 1923, in mehreren deutschen Ländern zeitweise verboten. Das hat auch sie nicht davon abgehalten, sich illegal weiter zu organisieren, unter anderen Namen zu Wahlen anzutreten und sich 1925 neu zu gründen. Ein Verbot der NSDAP nach 1930 hätte weder die Demokratie gerettet – denn die war schon längst tot und durch Präsidialkabinette ersetzt –, noch Hunderttausende SA-Mitglieder nach Hause geschickt, die bereitwillig einen erneuten Umsturzversuch unternommen hätten. Die Sehnsucht nach einem starken Mann speiste sich aus Problemen, die durch Verbote nicht aus der Welt zu kriegen waren.
Lässt man die beiden Diktaturen außen vor, weil deren Wahlsysteme wohl kaum als relevante Beispiele für die heutige Situation taugen, bleiben noch die Parteiverbote der alten Bundesrepublik. Westdeutschland führte ein pluralistisches Parteiensystem ein, kappte aber die extremen Flanken des Parteienspektrums. Die NSDAP Nachfolge-Partei – Sozialistische Reichspartei (SRP) – wurde 1952 verboten, die KPD 1956. Das funktionierte relativ reibungslos, weil beide zwar etwas Zulauf genossen, aber keine großen Teile der Bevölkerung hinter sich hatten. Extremismus lief gegen einen Zeitgeist, der sich im Westdeutschland der 1950er-Jahre am Wirtschaftswunder erfreute und von Ideologie-Politik nach zwölf Jahren Nationalsozialismus genug hatte. Konrad Adenauer passte da mit seinem Führungsstil und schnellen Erfolgen perfekt. Unter ihm gewann die Union 1957 die einzige absolute Mehrheit der Nachkriegsgeschichte. In diesem Kontext störte die wenigsten, dass zwei Randparteien verschwanden.
Das Konzept der „wehrhaften Demokratie“Schaut man sich die Geschichte deutscher Parteienverbote an, fragt man sich, warum so viele Deutsche noch immer so verbotsfreudig sind. Die Demokratie gerettet oder Wähler vom herrschenden System überzeugt haben Verbote jedenfalls noch nie.
Das Konzept der „wehrhaften Demokratie“ ist auch nicht darauf ausgelegt, den Unmut großer Bevölkerungsteile aus dem Bundestag fernzuhalten. Sondern es geht laut Grundgesetz um Verfassungsfeinde, die ihre Ziele „in aktiv-kämpferischer, aggressiver Weise umsetzen“ wollen – also undemokratisch, zum Beispiel durch Terrorismus. Die SRP fiel in diese Kategorie. Sie unterhielt eine paramilitärische Truppe namens Reichsfront. Die KPD propagierte noch bis kurz vor ihrem Verbot den „revolutionären Sturz des Adenauer-Regimes“. Das sind Beispiele unlauterer Methoden, gegen die sich die Demokratie schützen kann und muss.
Faesers umstrittener AmtsaktMan kann von der AfD halten, was man will, aber hinter der Partei stehen momentan zehn Millionen Wähler, Tendenz steigend. Was manche hier verbieten wollen, ist keine kleine Gruppierung mit Schlägertruppen auf den Straßen, sondern die Stimme eines Fünftels der Wähler. Diese Stimme mag verfassungsfeindliche Repräsentanten enthalten. Davon kann sich jetzt jeder ein Bild machen, da das geheime Gutachten des Verfassungsschutzes von verschiedenen Medien veröffentlicht wurde. Aber, wie es das Innenministerium erklärt, genügt es für ein Parteiverbot nicht, „dass oberste Verfassungswerte in der politischen Meinungsäußerung in Zweifel gezogen, nicht anerkannt, abgelehnt oder ihnen andere entgegengesetzt werden“. Der Knackpunkt ist und bleibt, ob eine Partei versucht, ihre extremistischen Meinungen mit verfassungsfeindlichen Mitteln umzusetzen, und nur darum sollte es bei einer Verbotsdebatte gehen.
Mit der Veröffentlichung der neuen AfD-Einstufung hat die ehemalige Innenministerin Nancy Faeser ihrem Nachfolger jedenfalls keinen Gefallen getan. Aber das weiß sie sicher auch. Die neue Regierung unter Friedrich Merz hat vier Jahre Zeit, weggelaufene Wähler auf demokratischem Wege wieder für sich zu gewinnen – durch einen Politikwechsel, nicht durch Verbote. Ihr sitzt jetzt im Bundestag die AfD als größte Oppositionspartei gegenüber. Das ist das politische Spiegelbild einer gespaltenen Gesellschaft, in deren Rahmen alle Konflikte durchaus heftig, aber friedlich austariert werden können. Genau in so funktioniert Demokratie.
Faesers letzter Amtsakt hat die neue Koalition dazu gezwungen, über die AfD zu reden, anstatt mit ihr über Inhalte zu streiten. Dabei waren Parteienverbote noch nie ein brauchbarer Ersatz für inhaltliche Auseinandersetzungen. In vielen anderen Länder scheint man das – bei aller Sorge über die Polarisierung westlicher Gesellschaften – verstanden zu haben. Ich hoffe, in Deutschland setzen sich am Ende auch besonnenere Stimmen durch und nicht die der Verbotskultur.
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Berliner-zeitung