Wenn Medien zu V-Leuten werden: Der Verfassungsschutz verdient unser Misstrauen

Eigenschaften, die Menschen unsympathisch machen, zeichnen Journalisten aus: Misstrauen, Zweifel, Distanz. Notwendige Voraussetzungen, um Regierungen zu kontrollieren und den Mächtigen auf die Finger zu schauen. Ohne diese Grundskepsis erfüllen Medien ihre Pflicht in einer Demokratie nicht mehr. Wie sagte der legendäre Verleger Randolph Hearst: „Nachrichten sind das, was irgendjemand nicht gedruckt sehen möchte. Der Rest ist Werbung.“ Doch in Deutschland glauben maßgebliche Teile der Presse, den Ämtern und Behörden mittlerweile aufs Wort.
Oder wie ist es zu erklären, dass kaum namhafte Publikationen auch nur in Erwägung ziehen, der Verfassungsschutz könnte mit seiner Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ daneben liegen? Es geht viel um Faesers Motive, den Zeitpunkt der Veröffentlichung, die Folgen für ein Verbotsverfahren. Aber der Verfassungsschutz selbst wird verschont.
Mit dem Aufstieg der Rechten wurden Entscheidungen des Verfassungsschutzes immer seltener infrage gestellt. Dabei leisten sich die Bundesbehörde und ihre Ableger in den Ländern immer wieder gravierende Fehler. Beim ersten NPD-Verbotsverfahren hatte der Inlandsgeheimdienst derart viele Mitarbeiter in die Partei eingeschleust und angeworben, dass nicht mehr mit Sicherheit gesagt werden konnte, was von den Rechten und was von den V-Leuten ausging. Auch bei den NSU-Morden gab die Behörde ein unterirdisches Bild ab. Im NSU-Untersuchungsausschuss stellte sich heraus, dass der Chef des Thüringer Verfassungsschutzes nachts bei Kerzenschein betrunken durch das Landesamt radelte. Der amtierende Präsident des sächsischen Verfassungsschutzes erklärte vorletztes Jahr in einer Anhörung im Landtag, er habe über Cyberangriffe auf das Parlament aus der Zeitung erfahren. Wie professionell es beim BfV zugeht, lässt sich auch daran sehen, dass das geheime Gutachten über die AfD in Gänze an den Spiegel durchgestochen wurde. Mit der Geheimhaltung nimmt es der Geheimdienst nicht so genau.
Wer diese Zustände und die Vorgeschichten kennt, kann kaum von Einrichtungen sprechen, die über jeden Verdacht erhaben wären. Ihr Vorgehen und ihre Empfehlungen sollten von Journalisten extrem misstrauisch betrachtet werden. Das Gegenteil tun die meisten Vertreter der Vierten Gewalt. Statt die Arbeit von Behörden mit derart grotesken Bilanzen kritisch zu hinterfragen, will beispielsweise das ZDF im Lichte der kurzzeitigen Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ seine Berichterstattung „reflektieren“. Schon fordern namhafte ÖRR-Mitarbeiter, kein AfDler dürfe mehr ins Fernsehen eingeladen werden.
Man kann viel über die AfD und ihre teils rechtsextremen, abstoßenden und radikalen Mitglieder sagen. Aber im Unterschied zu führenden Politikern aller anderen Parteien im Bundestag, von Union über SPD bis zu Grünen und Linken, verlangt die AfD nicht, dass politische Konkurrenten verboten werden. Früher wollten auch Linke und Grüne eine Abschaffung des Verfassungsschutzes, zum Beispiel Gregor Gysi und Jürgen Trittin. Aber das war natürlich zu Zeiten, als sie selbst oder ihre Parteien noch vom Verfassungsschutz beobachtet wurden.
Der AfD kann man nur politisch begegnen. Wenn es die Partei nicht mehr gäbe, wären nicht nur ihre Wähler noch hier, auch ihre Lösungsvorschläge wären nicht widerlegt. Beidem lässt sich nur politisch begegnen. Friedrich Merz ist dazu angetreten. Am Mittwoch, am ersten Tag seiner Amtszeit, wollte er sein zentrales Wahlversprechen einlösen und Asylbewerber an den Grenzen zurückweisen. Derzeit befinden wir uns in der kuriosen Lage, dass keiner weiß, ob er sein Versprechen gehalten hat. Aber ewig kann er die Öffentlichkeit nicht hinhalten. Und entweder hält er Wort, oder die AfD wird wieder hinzugewinnen – egal wie Journalisten es sehen.
Berliner-zeitung