Das Geheimnis des Kolosseums: Römischer Beton könnte unsere Zukunft retten

Von den Ruinen des römischen Kolosseums bis zu den Aquädukten, die nach über 2.000 Jahren noch immer stehen – römischer Beton gibt Ingenieuren und Wissenschaftlern seit Jahrtausenden Rätsel auf. Im Gegensatz dazu beträgt die geschätzte Lebensdauer vieler unserer modernen Bauwerke kaum 50 Jahre – ein Zeitraum, der im Vergleich zur römischen Lebensdauer erstaunlich kurz, fast lächerlich erscheint. Was wussten römische Ingenieure, was wir mit all unserer Technologie vergessen zu haben scheinen? Heute, da ihr Geheimnis gelüftet ist, fragen sich Wissenschaftler, ob die Anwendung ihrer Technik im 21. Jahrhundert uns helfen könnte, den Planeten zu retten.
Damals wie heute werden Gebäude und große Bauwerke aus Beton errichtet, einem Grundbaustoff unserer Zivilisation. Und obwohl die Technologie in diesem Bereich exponentiell voranschreitet, hat die Langlebigkeit deutlich abgenommen. Dies deutet darauf hin, dass sich „Innovationen“ im modernen Beton eher auf Aspekte wie Produktionsgeschwindigkeit als auf Langlebigkeit konzentrierten. Dies ist also kein bloßer Mangel an Wissen, sondern vielmehr eine Prioritätensetzung, die zwei unterschiedliche Bauphilosophien widerspiegelt – die römische und unsere.
Jetzt, da wir die Geheimnisse seiner Formel kennen, hat sich eine kürzlich in der Zeitschrift „ iScience “ von Cell Press veröffentlichte Studie auf einen ganz anderen Aspekt konzentriert und die Frage aufgeworfen, ob eine „Rückkehr“ zum römischen Beton die Nachhaltigkeit der modernen Betonproduktion verbessern könnte, die zu den größten Umweltverschmutzern der Welt zählt.
Die Betonproduktion hat heute erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt. Sie trägt zur Luftverschmutzung bei und ist für etwa 8 % der weltweiten anthropogenen CO2-Emissionen sowie 3 % des weltweiten Energiebedarfs verantwortlich. Angesichts dieser Zahlen hat die Suche nach nachhaltigeren Alternativen im Wettlauf um die Dekarbonisierung der Bauindustrie Priorität. Ganz zu schweigen davon, dass beispielsweise beim Abriss von Gebäuden große Mengen Betonstaub in die Atmosphäre freigesetzt werden – ein gefährlicher Schadstoff. Und genau hier kommt römischer Beton ins Spiel.
Römischer und moderner Beton haben einen gemeinsamen Grundbestandteil: Kalkstein. Bei extrem hohen Temperaturen zersetzt sich Kalkstein, setzt CO2 frei und bildet Calciumoxid. Dieses bildet zusammen mit anderen wichtigen Mineralien und Wasser eine Paste, die als Bindemittel dient. Moderner Beton wird durch Mischen von Zement mit verschiedenen Sand- und Kiesarten hergestellt. Er wird mit Stahlträgern verstärkt (Stahlbeton), was die Römer nicht taten .
Römischer Beton hingegen, bekannt als Opus Caementicium, war ein außergewöhnliches Material, das keiner Bewehrung bedurfte und sich in Zusammensetzung und Herstellungsverfahren radikal von seinem modernen Gegenstück unterschied. Die Römer verwendeten eine Mischung aus Branntkalk, Wasser und – ganz entscheidend – Vulkanasche, die sie Puzzolan nannten. Diese Asche, die in Orten wie Pozzuoli bei Neapel in großen Mengen vorkommt, war nicht einfach ein inerter Füllstoff, sondern ein aktiver Bestandteil, der in Verbindung mit Kalk eine Matrix bildete, die nicht nur aushärtete, sondern mit der Zeit auch an Festigkeit gewann, insbesondere in feuchten oder marinen Umgebungen.
Lange Zeit gingen Forscher davon aus, dass der Schlüssel zur Langlebigkeit der römischen Bauten allein im Puzzolan lag. Eine Studie des MIT und der Harvard University aus dem Jahr 2023 enthüllte jedoch ein entscheidendes Detail: das Heißmischverfahren. Anstatt den Branntkalk vor dem Mischen mit Wasser zu „löschen“, wie es normalerweise üblich ist, gaben die Römer ihn direkt mit der Asche und den Zuschlagstoffen hinzu. Dies löste eine exotherme Reaktion aus, d. h. es wurde Wärme freigesetzt, wodurch winzige Branntkalkfragmente, sogenannte Kalkklasten, entstanden, die man zuvor für bloße Defekte oder Verunreinigungen in der Mischung gehalten hatte. Doch das war nicht der Fall; es war eine durchdachte Strategie, ein wahrer Geniestreich und letztlich das Geheimnis der Langlebigkeit ihrer Gebäude.
Als im römischen Beton ein Riss entstand und Regenwasser eindrang, reagierten diese winzigen Kalkfragmente chemisch mit dem Wasser. Es bildeten sich Kalziumkarbonatkristalle, die den Riss von innen heraus füllten und versiegelten. Mit anderen Worten: Der Beton „reparierte sich selbst“, als hätte er ein eigenes „Immunsystem“, das es ihm ermöglichte, auf Schäden zu reagieren – ähnlich wie lebende Organismen ihr Gewebe reparieren.
Nachdem das Geheimnis nun gelüftet ist, geht diese Studie der Frage nach, ob römischer Beton gerade aufgrund seiner hohen Haltbarkeit auch für die heutige Bauweise eine nachhaltigere Alternative darstellen könnte.
Unter der Leitung von Ingenieurin Daniela Martínez von der Universidad del Norte in Kolumbien verglichen die Autoren der neuen Studie den ökologischen Fußabdruck beider Betonarten. Mithilfe von Modellen schätzten sie die benötigte Rohstoffmenge (wie Kalkstein und Wasser) sowie die Menge an CO2 und Luftschadstoffen, die dabei freigesetzt wurden. Angesichts der Variabilität römischer Rezepte verglichen sie mehrere antike Formeln mit unterschiedlichen Anteilen von Kalkstein und Puzzolan. Sie analysierten außerdem die Nachhaltigkeit antiker und moderner Produktionstechniken sowie die Nutzung verschiedener Energiequellen (fossile Brennstoffe, Biomasse oder erneuerbare Energien).
Die Ergebnisse waren überraschend. Entgegen den Erwartungen stellte sich heraus, dass die römische Betonproduktion ähnliche oder sogar höhere CO2-Emissionen verursachte als moderner Beton. „Entgegen unseren anfänglichen Erwartungen“, erklärt Mafrtínez, „führt die Übernahme römischer Rezepturen mit der heutigen Technologie möglicherweise nicht zu einer wesentlichen Reduzierung der Emissionen oder des Energiebedarfs.“ Dies deutet darauf hin, dass die bloße Nachbildung der antiken Rezeptur kein Allheilmittel für das Emissionsproblem ist.
Die Forschung ergab jedoch einen Vorteil des römischen Betons in Bezug auf die Luftqualität. Die Verwendung der antiken Formel führte zu weniger Emissionen von Luftschadstoffen wie Stickoxiden und Schwefeloxiden, die für die menschliche Gesundheit schädlich sind. Diese Reduzierungen, die zwischen 11 % und 98 % lagen, blieben unabhängig davon bestehen, ob die römische Betonproduktion mit fossilen Brennstoffen, Biomasse oder erneuerbarer Energie betrieben wurde, wobei letztere die größten Einsparungen brachten.
Der eigentliche Vorteil von Romanbeton liegt jedoch erneut in seiner außergewöhnlichen Haltbarkeit. Und genau hier liegt der Vorteil, dass er eine nachhaltigere Langzeitoption darstellt, insbesondere für stark beanspruchte Anwendungen wie Straßen und Autobahnen, die in der Regel regelmäßig gewartet und erneuert werden müssen. „Wenn wir die Lebensdauer von Beton berücksichtigen“, sagt Martínez, „erkennen wir die Vorteile.“
Sabbie Miller, Ingenieurin an der University of California, Davis und Co-Autorin der Studie, unterstreicht diesen Punkt: „Wo eine längere Verwendung von Beton den Bedarf an neuen Materialien reduzieren kann, kann haltbarerer Beton die Umweltbelastung verringern.“ Stellen Sie sich beispielsweise eine moderne Betonbrücke vor, die alle 50 Jahre repariert oder ersetzt werden muss, während eine römische Brücke 1.000 Jahre lang funktionsfähig bleibt. Die geringere Häufigkeit von Bau, Abriss und Materialtransport aufgrund der höheren Haltbarkeit führt zu erheblichen Energie- und Emissionseinsparungen.
Dieser Vergleich ist jedoch nicht ganz einfach. Moderner Beton wird erst seit 200 Jahren hergestellt, und im Gegensatz zu modernem Stahlbeton wurden in antiken römischen Bauwerken keine Stahlstäbe zur Erhöhung der Festigkeit verwendet. Paulo Monteiro von der University of California in Berkeley, ebenfalls Mitautor der Studie, warnt: „Korrosion der Stahlbewehrung ist die Hauptursache für Betonschäden, daher sind Vergleiche mit großer Vorsicht anzustellen.“ Die Metallbewehrung in modernem Beton führt eine komplexe Variable ein, die es in römischen Bauwerken nicht gab. Korrosion von Stahl durch Wasser und Sauerstoff kann zu inneren Ausdehnungen führen, die den Beton reißen lassen und so seine strukturelle Integrität beeinträchtigen.
Der Vorschlag, zum römischen Beton zurückzukehren, hat in der wissenschaftlichen Gemeinschaft bereits verschiedene Reaktionen hervorgerufen. Manuel F. Herrador, Doktor der Bauingenieurwissenschaften und Professor für Betonkonstruktionen an der Universität A Coruña, schätzt zwar die Qualität der Studie, relativiert aber die Erwartungen. „Die Zusammensetzung des römischen Betons ist gut bekannt, da sie dokumentiert wurde“, erklärt Herrador. „Wir wissen zwar, dass er haltbarer ist als die heute üblichen Betone, aber auch, dass er weniger widerstandsfähig ist, länger zum Abbinden braucht, auf Komponenten (wie Vulkanasche) angewiesen ist, die nirgendwo leicht zu beschaffen sind, und dass er in einigen seiner auffälligsten Anwendungen (ich beziehe mich auf Mischungen mit Meerwasser) nicht mit den Stahlbewehrungen kompatibel ist, die für unsere Stahl- und Spannbetonkonstruktionen unerlässlich sind.“
Die Erkenntnisse aus dem römischen Beton fließen nach Ansicht dieses Experten bereits in die moderne Ingenieurskunst ein. Die aktuellen Vorschriften sehen bereits die Verwendung von Aschezusätzen vor, die in der Tat häufig bei Bauwerken mit besonderen Anforderungen an die Haltbarkeit zum Einsatz kommen.
Herrador weist außerdem darauf hin, dass es vielversprechendere Forschungsansätze zur Dekarbonisierung von Zement gibt, beispielsweise sogenannte „grüne Zemente“. Diese neuen Materialien nutzen auch andere industrielle Nebenprodukte wie Hochofenschlacke oder Abfälle aus der Holzindustrie und bieten so innovative Möglichkeiten zur Reduzierung des CO2-Fußabdrucks. Ein bemerkenswertes Beispiel ist Hochofenschlackenzement (GGBS), der ein Nebenprodukt der Stahlherstellung verwendet und den Bedarf an Portlandzementklinker, dem emissionsintensivsten Bestandteil, deutlich reduziert. Ein weiteres Beispiel ist Flugaschezement, der Rückstände aus der Kohleverbrennung in Kraftwerken enthält. Dadurch werden diese Materialien nicht auf Deponien landen und ihre puzzolanischen Eigenschaften werden genutzt.
Die Studie macht jedoch deutlich, dass Nachhaltigkeit im Bauwesen nicht unbedingt eine exakte Nachbildung antiker Techniken bedeutet, sondern vielmehr ein tiefes Verständnis ihrer Prinzipien. Die Römer bauten für die Ewigkeit, während heute Geschwindigkeit vorherrscht, was bei vielen unserer Gebäude zu einer Art „geplanter Obsoleszenz“ führt. „Wir können viel von den Römern lernen“, so Daniela Martínez. „Wenn wir ihre Strategien in unsere modernen, innovativen Ideen integrieren, können wir eine nachhaltigere Umwelt schaffen.“
Zukünftig planen die Forscher detailliertere Analysen, um die Leistung und Lebensdauer von römischem und modernem Beton in verschiedenen Szenarien zu vergleichen. Ziel ist nicht, einfach zu kopieren, sondern zu lernen und anzupassen. Die inhärente Haltbarkeit von römischem Beton lehrt uns, dass Langlebigkeit ein Grundpfeiler der Nachhaltigkeit ist. Wenn es uns gelingt, Materialien zu entwickeln, die bei ähnlichem Energiebedarf in der Herstellung doppelt oder dreimal so lange halten, werden die langfristigen Ressourceneinsparungen und Emissionsreduzierungen enorm sein.
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