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Abgetaucht in einem Berliner Pfarrhaus: Wie Kirchenschutz für drei Somalier für Unruhe sorgt

Abgetaucht in einem Berliner Pfarrhaus: Wie Kirchenschutz für drei Somalier für Unruhe sorgt

Sie durften erst nicht nach Deutschland einreisen, tauchten aber plötzlich in Berlin auf: Der Fall von drei Flüchtlingen wirft viele Fragen auf und stört den Migrationskurs der Bundesregierung.

Zwei Flüchtlinge auf dem Gelände der evangelischen Stephansstift-Gemeinde in Hannover. Das Kirchenasyl gerät in der Politik zunehmend in die Kritik.Nancy Heusel/epd

Sie leben oft in kleinen Gästezimmern, dürfen das Kirchengebäude nicht verlassen, nicht zum Supermarkt, nicht einmal in den Garten. Draußen wartet womöglich die Polizei. Drinnen: Kirchenasyl.

Jetzt schlägt gerade solch ein Fall hohe Wellen. Unter dem Schutz der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sind derzeit in Berlin drei Somalier untergebracht. Das sorgt bundesweit für Schlagzeilen. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob die Flüchtlinge, die im Mai in Frankfurt (Oder) dreimal vergeblich versucht hatten, nach Deutschland einzureisen, überhaupt in Berlin sein dürfen.

Geht es nach der EKD, aber auch nach Flüchtlingsorganisationen wie Pro Asyl, lautet die Antwort ein deutliches Ja. Und die Kirche positioniert sich damit zunehmend kritisch gegenüber der neuen, härteren Migrationspolitik der Bundesregierung.

Es ist nicht die einzige Brisanz in diesem Fall: Als die Somalier im April und Mai dreimal an der deutsch-polnischen Grenze abgewiesen worden waren, erhielten sie von Pro Asyl eine Rechtsberatung; und das Verwaltungsgericht Berlin urteilte wenig später, die Zurückweisung der zwei Männer und einer Frau an der deutsch-polnischen Grenze sei nicht rechtens gewesen. Eigentlich wähnten alle die drei Somalier danach weiter in Polen, dann aber tauchten sie in Berlin auf. Die Deutsche Polizeigewerkschaft erstattete Anzeige gegen unbekannt, weil sie unter anderem kriminelle Schleusermethoden vermutete.

Kirchenschutz: „Wir nehmen diejenigen auf, deren Not am größten ist“

Kirchenasyl erscheint in den Augen vieler als stiller Akt der Barmherzigkeit. In Wirklichkeit ist es jedoch ein präzise getaktetes Verfahren, das sich an den Rändern des deutschen Asylrechts bewegt – ohne es zu verletzen. In Berlin, wie auch bundesweit, bieten Kirchengemeinden regelmäßig Schutz für Flüchtlinge an, denen nach Ansicht der Gemeindemitglieder eine unrechtmäßige oder unzumutbare Abschiebung droht.

Felix Wolf, Geschäftsführer von „Asyl in der Kirche Berlin-Brandenburg“, sagt zur Berliner Zeitung, dass derzeit kein geregeltes Kirchenasylverfahren zu den drei Geflüchteten aus Somalia bestehe. Der Verein berät Kirchengemeinden, die Menschen im Rahmen des Kirchenasyls aufnehmen und prüft die Fälle juristisch, ob sie sich für dieses Verfahren eignen. „Wir bekommen deutlich mehr Anfragen, als wir im Kirchenasyl unterbringen können. Wir nehmen diejenigen auf, deren Not am größten ist“, sagt Wolf.

Einmal im Kirchenasyl, bleibt der Geflüchtete in der Obhut der Gemeinde

Seit 2015 hat die Kirche ihren Umgang mit dem Kirchenasyl und das Zusammenspiel mit dem Staat systematisiert. Seitdem werden für Menschen, oft Familien, die als Härtefälle betrachtet werden, Dossiers erstellt. Den Behörden werde klar kommuniziert, warum die Kirche sie als Härtefälle betrachte, der Staat werde aufgefordert, für sie Verantwortung zu übernehmen, auch wenn nach dem Dublin-Verfahren andere Staaten zuständig wären. „Das sind Fälle, in denen den Menschen eine Rückkehr nicht zugemutet werden kann“, sagt Wolf. Es geht um drohende Gewalt, Inhaftierung, fehlende medizinische Versorgung, Obdachlosigkeit. Problematische Länder seien derzeit Bulgarien, Kroatien, Polen, Litauen.

Essen, medizinische Versorgung, Seelsorge, rechtliche Beratung

Der Grundgedanke des Kirchenasyls: Eine Kirchengemeinde nimmt eine Person auf, bei der sie eine besondere humanitäre Härte sieht. Das Aufenthaltsrecht bleibt davon unberührt. Einmal im Kirchenasyl, bleibt der Geflüchtete in der Obhut der Gemeinde, bis der deutsche Staat den Fall übernimmt und ein reguläres Verfahren in Deutschland läuft.

Die Gemeinde stellt Unterkunft und Verpflegung, oft aus Spenden oder durch privates Engagement. Vom Staat erhalten die Migranten in der Regel keine Leistungen mehr, sobald sie sich der offiziellen Zuständigkeit entziehen.

Das bedeutet: Essen, medizinische Versorgung, Seelsorge, rechtliche Beratung – all das muss die Gemeinde selbst organisieren. Rein rechtlich gibt es keinen besonderen Schutzraum. Die Polizei könnte jederzeit das Gebäude betreten und den Betroffenen mitnehmen. Doch in der Praxis geschieht das kaum. Behörden respektieren das Kirchenasyl – aus Tradition, aus politischen Erwägungen und weil es letztlich um Einzelfälle geht, nicht um Massenunterbringung.

Die Zahlen zum Kirchenasyl sind in Deutschland im vergangenen Jahr deutlich gestiegen – das zeigt ein aktueller Medienbericht. Wie die Bild-Zeitung unter Berufung auf Zahlen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) berichtet, erhielten im Jahr 2024 insgesamt 2386 Menschen Kirchenasyl – rund 300 mehr als im Vorjahr. In den allermeisten Fällen handelte es sich demnach um sogenannte Dublin-Fälle: Asylsuchende, die zunächst in einem anderen EU-Staat registriert wurden, ehe sie nach Deutschland weiterreisten.

2024 gab es in der Region Berlin-Brandenburg 183 Kirchenasyle

Zum 1. Mai 2025 gab es in Berlin und Brandenburg laut Verein Asyl in der Kirche 39 Kirchenasyle mit insgesamt 59 Personen (davon 15 Kinder). 35 der Kirchenasyle sind Dublin-Fälle. 2024 gab es in der Region Berlin-Brandenburg 183 Kirchenasyle mit insgesamt 243 Personen, darunter 40 Kinder.

Den Anstieg von Kirchenasylzahlen erklärt Wolf mit der politischen Debatte rund um Abschiebung. Kirchengemeinden würden zunehmend Ungerechtigkeit sehen und seien öfter bereit, Menschen aufzunehmen, als früher.

Nach Informationen der Bild-Zeitung leben die drei Somalier seit Pfingsten in einem Berliner Pfarrhaus – entgegen der üblichen Regelung, die laut Asylgesetz eine Unterbringung in einer staatlichen Aufnahmeeinrichtung für bis zu 18 Monate vorsieht. Eine Unterbringung bei der Kirche könnte darauf hindeuten, dass die Somalier im Fall einer ihnen drohenden Abschiebung auf Kirchenasyl verweisen wollen.

Die drei Somalier sind laut LAF im Ankunftszentrum registriert

Eine Sprecherin des Berliner Landesamts für Flüchtlinge erklärte: „Die Zuweisung nach Berlin erfolgte aus medizinisch-humanitären Gründen.“ Die drei Somalier seien im Ankunftszentrum registriert und nähmen „selbstverständlich alle behördlichen Termine wahr“. Bischof Christian Stäblein, Flüchtlingsbeauftragter der EKD, traf sich mit den drei somalischen Migranten, die im Mai an der polnischen Grenze von der Bundespolizei zurückgewiesen wurden. Dem evangelischen Pressedienst sagte er: „Wenn ich ihre Lebensgeschichten höre und ihre Verletzlichkeit spüre, dann trifft es mich, dass Menschen, die Schutz suchen, an unseren Grenzen abgewiesen werden.“

Ob die zwei Männer und die eine Frau nun Kirchenasyl erhalten, ist unklar. Fakt aber ist, dass es den Druck auf die Regierung und die Behörden erhöht.

Kritik am Kirchenasyl: Geltendes Recht wird missachtet

Kritiker werfen den Kirchen nun vor, sich über geltendes Recht hinwegzusetzen. Sie sprechen von Paralleljustiz und unzulässiger Einflussnahme. Offiziell wird Kirchenasyl nicht gefördert – aber auch nicht verfolgt. In den vergangenen Jahren gab es vereinzelte Verfahren gegen Pfarrer wegen „Beihilfe zum illegalen Aufenthalt“, doch die meisten wurden eingestellt. Wie der Fall nun in Berlin ausgeht, ist derzeit noch unklar.

Wolf vom Verein Kirchenasyl widerspricht den Vorwürfen, die Kirche missbrauche das Instrument Kirchenasyl politisch: „Wir sehen immer auf den Einzelfall und helfen dem Recht zur Geltung, indem wir für Härtefälle mehr Zeit und einen neuen Blick ermöglichen. Wir verstecken niemanden.“ Der Staat könne jederzeit eingreifen und wisse auch, wo die Menschen sind. „Der Staat lässt sich auf den Dialog ein“, sagt er. Einen neuen, raueren Ton gegen das Kirchenasyl durch die unionsgeführte Bundesregierung sieht der Geschäftsführer ebenfalls nicht.

Berliner-zeitung

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