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Arbeitszeit: Regierung propagiert Altherrenweltbild – Transformation geht anders – eine Kolumne

Arbeitszeit: Regierung propagiert Altherrenweltbild – Transformation geht anders – eine Kolumne

Christoph Bornschein
Christoph Bornschein
Eine Kolumne von Christoph Bornschein
Wie viel Arbeit braucht es für wie viel Wohlstand? Die von Friedrich Merz und Carsten Linnemann aufgeworfene Frage orientiert sich an überkommenen Vorstellungen von Produktivität. Wie tragisch. So wird es nichts mit der radikalen Veränderung unserer Wirtschaft, die nötig ist.
aus manager magazin 7/2025
Zweifel an der Work-Life-Balance: Bundeskanzler Friedrich Merz und CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann

Zweifel an der Work-Life-Balance: Bundeskanzler Friedrich Merz und CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann

Foto:

Florian Gaertner / IMAGO

Man könnte Bundeskanzler Friedrich Merz (69) und seinem CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann (47) fast dankbar dafür sein, die Diskussion angestoßen zu haben: Wie viel Arbeit braucht es für wie viel Wohlstand, wer ist in der Pflicht, und wie wird Deutschlands Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit wieder nach vorn gebracht? Aber eben: fast dankbar.

Mitunter wirkt es, als würden die Wortführer des New Old Work die Diskussion vor allem mit sich selbst führen: hier präzisieren, dort zurückrudern, hier junge Menschen für die viele Arbeit loben, sie dort wiederum für ihre Ansprüche tadeln. Das Fazit: Für unseren Wohlstand müssen wir alle mehr arbeiten – aber keiner muss sich so richtig gemeint fühlen und kann im Zweifel auf eine beliebige andere diffus demografisch definierte Gruppe zeigen. Auf jeden Fall wohl ein Problem: unsere Work-Life-Balance.

Da bleiben Fragen. Um nur einmal eine sehr naheliegende zu stellen: Was, wenn nicht eine ausgeglichene individuelle Work-Life-Balance, ist denn ein Zeichen von Wohlstand? Und um noch eine grundsätzliche Frage hinterherzuschieben: Warum erhalten im Jahr 2025 noch immer Menschen Aufmerksamkeit, politische Verantwortung und Wirtschaftskompetenzreputation, die Produktivität als lineare Funktion von Arbeitszeit verstehen und Fortschritt vor allem als die Erhöhung von Output? Wenn LBBW-Chef Rainer Neske (60) eine noch bessere Idee als die im März diskutierte Abschaffung eines Feiertages hat und Ende Mai die Abschaffung von, Sie ahnen es nicht, zwei Feiertagen fordert – warum ist das eine Schlagzeile und keine Punchline?

Noch einmal: Es ist grundsätzlich gut, dass über die Bedeutung von Arbeit und über die Ausgestaltung ihrer Rahmenbedingungen diskutiert wird. Doch wie in fast allen Transformationsdiskussionen bleiben die eröffneten Lösungsräume eng. Trotz des diskursiven Hochlaufs bleibt das politisch-gestalterische Vorstellungsvermögen bedauerlich eingeschränkt. Wieder einmal werden keine erstrebenswerten Zukunftsszenarien skizziert, die über „unseren Wohlstand sichern“ hinausgehen. Stattdessen gilt „Rente bis 70 können die Dänen auch!“ als gutes Argument und sorgfältig um Fragen zu Care-Arbeit und Gleichstellung herumgepickte statistische Rosinen als gute Datengrundlage.

Das ist der Punkt, an dem sich eine hiermit zum 50. Mal erscheinende Kolumne mit dem Titel „Vorwärts immer!“ immer wieder stoßen muss: das hartnäckige, in alle Gestaltungsbereiche wirkende und auch durch diese Diskussion wehende Bestehen darauf, eine für alle Zeit industriell aufgestellte Supernation zu sein, deren Geschäftsmodell und deren Betriebssystem schon immer zukunftsfähig waren und nur einige pfiffige Digital-Updates brauchen.

Dass aber softwarebasierte Wertschöpfung, datengetriebener Strukturwandel und allgemein technologischer Paradigmenwechsel die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit deutscher Kernindustrien infrage stellen, wird seit mehreren Legislaturen ignoriert. In Teilen der Ampel mag es Ambitionen in andere Richtungen gegeben haben. Aber auch dort wirkten starke Beharrungskräfte, dominierte ein Glaube an alte Stärken und Rezepte. CDU und CSU haben darauf kein Monopol – sie ergänzen das Ganze nur durch patriarchalisches Leistungsgehuber.

Die Zukunftsdiskussionen, die eigentlich geführt werden sollten, werden durch die ideologisch getriebene Propagierung des eigenen Altherrenweltbilds – hier als Aufruf zum gemeinsamen Anpacken getarnt – leider von der Bühne gedrängt. Das ist vor allem deshalb tragisch, weil innerhalb solcher Diskussionen durchaus auch Mehrarbeit, Produktivität, Überstunden, Flexibilisierung und Rentenarbeitsmodelle ihren Platz fänden. Aber eben im Sinne einer Veränderungs- und Zielbildkommunikation, die die verschlissenen Ideen und Versprechen des Industriekapitalismus ersetzt. Wer die Transformation wirklich gestalten will, wer Wirtschaft und Gesellschaft für die Zukunft aufstellen will, sollte die radikale Veränderung der Welt anerkennen, die Wissensgesellschaft anschieben – und nebenbei Work und Life gesamtgesellschaftlich tatsächlich in Balance bringen.

Mit dem, was aktuell geboten wird, lassen sich Fortschritt und Wettbewerbsfähigkeit jedenfalls nicht sichern – und da haben wir noch nicht einmal über künstliche Intelligenz und Entscheidungsautomatisierung gesprochen. Wir wollen den Diskurs nicht gleich mit Science-Fiction sprengen.

manager-magazin

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