FDP nach der Wahl: Vor einem Machtkampf um Lindners Erbe?
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Wolfgang Kubicki hat eine Nacht mit Höhen und Tiefen hinter sich. Traditionell trifft er sich nach der Bundestagswahl mit Christian Lindner an einer Bar, um die Ergebnisse der FDP zu feiern. Diesmal konnten die beiden Männer nur darauf anstoßen, im Wahlkampf stets bemüht gewesen zu sein.
Als Kubicki am Montagmorgen die FDP-Parteizentrale betritt, wird er gefragt, wie der Abend war. „Sehen Sie doch“, sagt Kubicki und zeigt lächelnd auf sich. Eigentlich hatte Kubicki am Sonntagabend seinen Abschied aus der Politik angekündigt. Er werde in wenigen Tagen 73 Jahre alt und habe nicht mehr die Kraft, „der FDP dann in den kommenden vier Jahren weiterzuhelfen“, hatte Kubicki gesagt. Über Nacht kam aber die Wende. Er denke nun „ernsthaft darüber nach“, doch als neuer FDP-Chef zu kandidieren, sagte er am Montagmorgen. Viele Unterstützer hätten sich bei ihm gemeldet und ihn gerufen, sagt er.
Kurz vor Kubickis Rücktritt vom Rücktritt war ein anderer Name bekannt geworden, hinter dem sich mehrere Liberale versammelt haben: Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Sie schloss am Montagmorgen nicht aus, für den Parteivorsitz zu kandidieren. Die 66-Jährige bringt etwas mit, das der übrigen FDP-Prominenz fehlt. Sie hat noch ein Mandat, anders als die Bundestagsabgeordneten, die allesamt ihr Amt verloren haben durch die Bundestagswahl. Denn Strack-Zimmermann sitzt seit 2024 im Europaparlament. Gewählt wird das erst wieder 2029, so lange kann sie in Talkshows als Vorsitzende des EU-Verteidigungsausschusses vorgestellt werden. Ein Amt bringt politische Gravität, und die kann eine außerparlamentarische Oppositionspartei wie die FDP brauchen.
„Zu oft hat die FDP ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel gesetzt – und verloren.“Kubicki oder Strack-Zimmermann? Das ist also die Lage, in der Christian Lindner die FDP hinterlässt. „Ich will nicht eingreifen in den Prozess der Neuaufstellung“, sagte Lindner am Montagnachmittag, nachdem er mit Strack-Zimmermann, Kubicki und vielen anderen Parteimitgliedern das desaströse Ergebnis intern besprochen hatte. Auch einen öffentlichen Rat wollte er möglichen Nachfolgern nicht erteilen. „Ich gebe jetzt gar keine Tipps.“
Plötzlich steht die FDP ohne die politische Führung von Christian Lindner da. Er hat den Kurs der Partei stark geprägt, manche Liberale sagen schon länger: zu stark. Am Tag nach der Wahl beginnt auch die Abrechnung mit seinen elf Jahren im Parteivorsitz. Die Chefin der Jungen Liberalen (Julis), Franziska Brandmann, kritisiert Lindner deutlich, ohne ihn beim Namen zu nennen. Sie klingt dabei ausgerechnet wie Olaf Scholz in seiner feurigen Entlassungsrede, als er Lindner vorwarf, diverse Dinge „zu oft“ falsch gemacht zu haben. „Zu oft sind taktische Erwägungen mit dem liberalen Kompass in Konkurrenz getreten“, sagt nun die Parteifreundin Brandmann über die Ära Lindner. „Zu oft standen interne Machtkämpfe über dem Wohl der Partei als Ganzes. Zu oft hat die FDP ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel gesetzt – und verloren.“
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Durch den Einstieg in die Ampelregierung 2021 schien Lindner die FDP ins 21. Jahrhundert geführt zu haben. Die Liberalen waren offen für Koalitionen mit allen demokratischen Parteien und saßen wieder in Bundesministerien. Doch die Ampel funktionierte nicht für die FDP. Die Umfragewerte der Partei sanken und sanken. Seit Mai 2022 hat die FDP bei jeder Wahl verloren. Aus vier Landesparlamenten flog sie in der Zeit der Koalition raus. Viele Liberale fremdelten zunehmend mit den rot-grünen Koalitionspartnern. Der Druck, die Ampel zu verlassen, stieg. Andere dagegen wollten in der Bundesregierung bleiben und FDP-Projekte durchsetzen. Lindner schaffte es nicht, diesen Konflikt zu lösen, oder er wollte es nicht.
Lindner klagte öffentlich, wie wenig Geld er in der Politik verdieneDer Wahlkampf begann für die FDP mit der D-Day-Affäre. Begriffe wie „offene Feldschlacht“ schreckten Wähler ab, die politisch einen anderen Stil wollten. Die Liberalen setzten auf Wirtschaftsreformen und auf eine härtere Migrationspolitik. Eine Koalition mit den Grünen hatte der FDP-Parteitag sogar einstimmig ausgeschlossen. Überwiegend stimmte die FDP im Bundestag sogar zusammen mit der Union und der AfD für ein Gesetz, das den Familiennachzug für Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien stoppen sollte. Doch ein Fünftel der Fraktion machte bei Lindners Manöver nicht mit, eine parteiinterne Revolte kurz vor der Bundestagswahl.
Christian Lindner ist im Wahlkampf 46 Jahre alt geworden, er könnte nun eine zweite Karriere in der Privatwirtschaft anstreben. Er gilt dort als gut vernetzt, mit Dax-Vorständen schreibt er sich SMS. Bevor Lindner Minister wurde, hielt er jede Menge bezahlte Vorträge.
Dass er sich einen Job vorstellen kann, der besser bezahlt ist als der des Politikers, hatte er im Wahlkampf schon durchblicken lassen. „In dunklen Momenten während der letzten zehn Jahre habe ich auch schon mal gedacht: Ach, wie wäre es, eine Karriere zu haben mit weniger Ärger, mehr Zeit und nicht unbedingt weniger Einkommen“, sagte er RTL. In einer Youtube-Sendung gab er mal an, er verdiene derzeit „ungefähr 6000 Euro netto im Monat“. Das soll nach seinen Wünschen in Zukunft wohl deutlich mehr werden, auch wenn er am Montagnachmittag sagte, er habe „zur Stunde keine konkreten Pläne“. Sein Einkommen im Vergleich zu anderen schien Lindner zu beschäftigen, er thematisierte das öffentlich in den TV-Gesprächen. Der RTL-Moderatorin warf er vor: „Sie verdienen wesentlich mehr Geld als ich.“ Den Youtubern sagte er: „Ich würde mal vermuten, dass ihr um den Faktor zehn mehr Geld im Monat verdient als ich.“ Auch privat ändert sich bei Lindner bald einiges, er und seine Frau erwarten ein Kind.
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