Regierungsbildung: Wahlsieger Merz lotet Optionen aus
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Friedrich Merz ist kaum am Ziel, da steht er auch schon vor dem ersten Problem. Zwar ist seit dem frühen Montagmorgen klar, dass der designierte Bundeskanzler für seine Regierungsmehrheit neben den Sozialdemokraten nicht auch noch die Grünen braucht – und das nur, weil das Bündnis Sahra Wagenknecht mit 4,97 Prozent knapp an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert ist. Dafür aber sieht sich Merz nun im Bundestag einer Sperrminorität gegenüber: Eine Zwei-Drittel-Mehrheit, wie sie etwa für eine Verfassungsänderung nötig ist, kommt im neuen Bundestag ohne Stimmen von AfD oder Linkspartei nicht zustande. Sechs Stimmen fehlen dafür. Das schränkt Merz’ Bewegungsfreiheit ziemlich ein.
Das Problem ist akut, denn auch die weitere Aufstockung der Verteidigungsausgaben hängt an so einer Mehrheit. Merz sieht hier eine der größten Herausforderungen seiner Kanzlerschaft. „Wir Europäer müssen schnell handlungsfähig sein“, sagte er am Montag in Berlin. Dazu müssten sie „sehr schnell“ ihre Verteidigungsfähigkeit sicherstellen. Dafür wiederum bräuchte es auch schnell zusätzliche Mittel für die Bundeswehr – sei es über ein Sondervermögen, sei es durch eine Lockerung der Schuldenbremse. Für beides müsste das Grundgesetz geändert werden, mit den Stimmen von zwei Dritteln des Bundestages.
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Die Linke, die zu ihrer eigenen Überraschung im neu gewählten Bundestag nun 64 Abgeordnete stellt, machte am Montag ihre Haltung schon klar. Die Schuldenbremse habe man schon immer falsch gefunden, sagte Parteichefin Ines Schwerdtner. Aber: „Für Aufrüstung werden wir nicht stimmen.“ Und durch ihren Wahlerfolg sei die Partei ja nun in der Lage, Bedingungen stellen zu dürfen.
Bliebe noch eine andere Möglichkeit: Der scheidende Bundestag könnte den Grundstein für höhere Verteidigungsausgaben legen, ehe die Legislaturperiode offiziell endet. Das ist in einem Monat, am 24. März. Merz selbst deutete dies am Montag nur an. Die Sperrminorität von AfD und Linken nehme er „mit sehr großem Bedauern“ zur Kenntnis. Er wolle deshalb erst mal mit SPD, Grünen und FDP Gespräche dazu aufnehmen. Noch ist die FDP schließlich im Bundestag, und gemeinsam kämen schon Union, SPD und Grüne über die Hürde. Bis zum 24. März habe man ja „noch vier Wochen Zeit, darüber nachzudenken“, sagte Merz.
Auch Noch-Kanzler Olaf Scholz beließ es am Montag bei einer Andeutung. Es gehe in dieser Sache nun darum, alles Mögliche auszuloten, sagte Scholz, der abermals seine bittere Niederlage einräumte. Eine Entscheidung, die auf den letzten Drücker noch der alte Bundestag trifft, sei „ein seltener Vorgang, aber nicht ein Vorgang, der das allererste Mal stattfindet“, sagte Scholz - und erinnerte an das Mandat für den Kosovo-Einsatz, den ersten Kriegseinsatz deutscher Soldaten seit Bestehen der Bundeswehr. Im Oktober 1998 hatten darüber die Abgeordneten der endenden Legislaturperiode entschieden, obwohl SPD und Grüne gerade die Wahl gewonnen hatten.
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Dass der Kanzlerkandidat der Grünen ins Glied zurücktritt, ist nur der Start eines größeren Umbaus. Nach dem enttäuschenden Abschneiden bei der Bundestagswahl fordern viele in der Partei einen Neuanfang - und stellen den ganzen Kurs infrage.
Am deutlichsten werden am Tag nach der Wahl die Grünen. Sie werden an einer künftigen Regierung wohl nicht beteiligt sein, und Spitzenkandidat Robert Habeck hat schon angekündigt, „keine führende Rolle“ bei den Grünen mehr anstreben zu wollen. Aber gegen eine kurzfristige Verfassungsänderung hätten sie nichts. Schließlich sei auch eine Regierung, die nun geschäftsführend im Amt ist, vor drei Jahren von Wählerinnen und Wählern gewählt worden, sagte Außenministerin Annalena Baerbock. Die Initiative müsse aber von Merz ausgehen. Bei der FDP wiederum verwies Parteichef Christian Lindner auf seine Fraktion – einen Tag nachdem er seinen Rückzug aus der Politik angekündigt hatte.
Jenseits dieser Frage muss Friedrich Merz dann auch noch eine Koalition bilden, als Partner bleiben ihm nur die Sozialdemokraten. Noch am Montag wollte er erste Gespräche mit den SPD-Vorsitzenden führen. Die allerdings gaben sich erst einmal reserviert. „Ob es zu einer Regierungsbildung kommt, steht noch nicht fest“, sagte SPD-Chef Lars Klingbeil. Darüber entschieden nun die Gespräche. Während CSU-Chef Markus Söder schon vorsorglich vor einem Scheitern auch dieser Koalition warnte. „Dies ist die letzte Patrone der Demokratie“, sagte er in München.
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