Betrug mit Fake-Profilen: Wie Influencer um ihre Identität kämpfen

Der Frust steht Ariana ins Gesicht geschrieben: „Es bereitet mir richtig Bauchschmerzen“, sagt die Videomacherin ihren Followerinnen und Followern. Lange Zeit sei sie krank gewesen, jetzt habe sie endlich wieder Videos hochladen wollen – nur um festzustellen, dass das inzwischen noch jemand anderes tut. Von Ariana, die sich auf der Plattform Tiktok „Vegetario“ nennt, existieren Fake-Profile. Und die wachsen und wachsen.
Die Videomacherin aus Schleswig-Holstein hat sich in den vergangenen Jahren knapp 500.000 Followerinnen und Follower auf der Plattform Tiktok aufgebaut. Auf dem Kurzvideodienst spricht sie über ihr Leben im Wohnwagen an der Nordsee, zeigt ihren Alltag, erzählt von ihrer chronischen Erkrankung oder lädt kurze Gedanken hoch. Das Problem: Ihre Fake-Accounts tun das auch. Sie verbreiten dutzende alte Videos von Ariana auf der Plattform – teilweise erzielten diese Aufrufzahlen im hohen fünfstelligen Bereich.
Dabei bleibt es aber nicht. Selbst Freunde und Verwandte glaubten inzwischen, dass es bei den Fälschungen um Zweitaccounts von Ariana handelt, berichtet sie. 10.000 Followerinnen und Follower hatte ein besonders prominentes Fake-Profil in seiner Hochphase. Und besonders brisant: Es schrieb diese auch an und bat sie um Geld. „Ich würde niemals, in keinem Universum, jemanden von euch um Geld fragen“, warnt Ariana ihre Fans in ihrem Video. „Bitte fallt da nicht drauf rein. Es macht mich echt richtig fertig“.
Immerhin: Inzwischen wurde zumindest dieses Profil offenbar von der Plattform entfernt. Grund dafür ist eine Anfrage des RedaktionsNetzwerks Deutschlands (RND) bei der Tiktok-Pressestelle, die auf den Fall aufmerksam gemacht hatte. Am Montag war die Fälschung in der Tiktok-Suche nicht mehr auffindbar, der frühere Profillink zeigt nur noch den Hinweis „Dieses Konto konnte nicht gefunden werden“. Das Problem: Von Ariana existieren noch immer mindestens zwei weitere Fake-Accounts. Und sie selbst hat kaum eine Möglichkeit, dagegen vorzugehen.
Zwar gibt es innerhalb der Plattform einen Button, mit dem sich Profile melden lassen. Tiktok allerdings sah – bis zur RND-Anfrage – wochenlang keinen Anlass, die Profile zu entfernen. „Ich habe jeweils angegeben, dass die betreffenden Accounts sich als mich ausgeben – und das mehrfach“, sagt die Tiktokerin dem RND. „Ich habe immer nur kurze Standardnachrichten erhalten, in denen mir mitgeteilt wurde, dass kein Verstoß gegen die Tiktok-Richtlinien vorliege.“ Sie habe dann versucht, wenigstens einen blauen Verifizierungshaken für ihr echtes Profil zu beantragen – damit man es von den Fake-Accounts unterscheiden kann. Doch auch das habe Tiktok abgelehnt – „trotz mehrerer Versuche“.
Die Situation sei für Ariana „belastend“, sagt sie. „Viele Nutzer sehen sowohl meine echten Videos als auch die der Fake-Profile auf ihrer For-You-Page – und können teilweise nicht unterscheiden, welche Inhalte tatsächlich von mir stammen.“ Dass der Account Nutzerinnen und Nutzer zwischenzeitlich auch um Geld fragte, sorge nicht nur für potenziellen Schaden, sondern auch für Misstrauen innerhalb der eigenen Community.
Der Fall von Ariana alias Vegetario ist nicht der einzige seiner Art. In den vergangenen Monaten hatten sich immer wieder Influencerinnen und Influencer aber auch andere Prominente über Fake-Profile in den sozialen Medien beschwert. Betroffen davon ist nicht ausschließlich die Plattform Tiktok, sondern auch die Videoplattform Youtube von Google sowie die Netzwerke Facebook und Instagram des Meta-Konzerns.
Im Herbst vergangenen Jahres hatte die Landwirtschafts-Influencerin Marie Hoffmann einen besonders brisanten Fall öffentlich gemacht. Auf der Plattform Facebook fanden sich zeitweise hunderte gefälschte Profile Hoffmanns, wie sie in einem Video öffentlich machte. Das Ziel der Fake-Accounts: Eine besonders perfide Betrugsmasche.
„Die Fake-Profile kommentieren unter meinen Beiträgen die Kommentare (...) von Männern“, erklärt Hoffmann. Über Privatnachrichten würden die Kriminellen dann mit den Betroffenen in Kontakt treten und mit ihnen eine virtuelle Beziehung eingehen. „Oftmals sind auch die Chats selbst schon zahlungspflichtig, sie liegen hinter einer Paywall“, erklärt Hoffmann. Nach einigen Wochen Schriftverkehr fordere der Fake-Account dann „ein Bahnticket, ein Flugticket, oder Geld für ihre Familie, weil sie in Not geraten sei.“ Manchmal würden die Profile auch Nackfotos anbieten, die mit KI leicht zu erstellen seien. Sobald die Betrugsopfer dann das Geld überwiesen hätten, würden sich die Accounts nie wieder melden.
Ein Umstand, der nicht nur für die Männer, sondern inzwischen auch für Hoffmann Folgen hat. Im Herbst sei ein Stalker vor ihrer Haustür aufgetaucht, erzählt sie. Dieser sei durch ihr Dorf gefahren und habe andere Menschen nach ihrer Adresse gefragt. Bereits zuvor habe sie Drohungen, Liebeserklärungen und Heiratsanträge per E-Mail erhalten.
Im Nachhinein habe Hoffmann festgestellt, dass der Mann mit einem ihrer Fake-Profile auf Facebook befreundet war. Offenbar war er, wie schon andere Opfer zuvor, in ein Gespräch verwickelt und schließlich sauer geworden. Dann habe er sie Zuhause aufgesucht.
Hoffmann fühlt sich hilflos: „Das einzige, was mir bleibt, ist diese Accounts zu melden“, sagt sie. Jedoch komme sie damit kaum hinterher. Im selben Moment würden vermutlich automatisiert „15 neue Accounts erstellt“. Hoffmann fordert: „Hier muss Meta, insbesondere Facebook, viel mehr tun um einzelne Personen, aber vor allem Frauen zu schützen.“
Auch die ARD-Börsenexpertin Anja Kohl hatte im Frühjahr ihrem Unmut über Fake-Profile Luft gemacht. Auf Facebook und Instagram kursierten Profile, die unter ihrem Namen dubiose Vermögensversprechen machten. „Das ist ein Raub meiner Identität“, sagte Anja Kohl damals dem Hessischen Rundfunk. Die Situation sei für sie sehr belastend, zumal Kohl selbst nicht mal auf Facebook und Instagram aktiv sei.
„Ich habe sofort die Polizei eingeschaltet und Strafanzeige gestellt“, so Kohl damals. Zusätzlich habe sie einen Anwalt eingeschaltet. Das habe zunächst jedoch kaum Wirkung gezeigt: Zwar seien einzelne Seiten und Beiträge gelöscht worden, doch an ihrer Stelle tauchten neue auf – „wie bei einer Hydra, bei der für jeden abgeschlagenen Kopf zwei neue nachwachsen“, beschrieb es Kohl.
Auch Googles Videoplattform Youtube hat immer wieder mit dem Problem zu kämpfen. Verschiedene Youtuber hatten in den vergangenen Jahren von Fake-Profilen berichtet, die Followerinnen und Follower in den Kommentaren anschreiben. Da es auf Youtube keine Privatnachrichtenfunktion gibt, werden die Betroffenen dann meist in einen Telegram-Chat gelockt. Dort werden ihnen dubiose Versprechungen gemacht, die meist ebenfalls dazu führen, Fans das Geld aus der Tasche zu ziehen.
Fragt man die Plattformen selbst nach dem Problem, kommt man nicht weit. Das Fake-Profil der Videomacherin Vegetario wurde zwar nach der RND-Anfrage von Tiktok entfernt – Fragen zum Thema blieben jedoch zunächst unbeantwortet. Bei einer früheren Anfrage hatte der Socialmedia-Konzern auf den „Melden“-Button in der App verwiesen. Ein Weg, der für Betroffene jedoch immer und immer wieder ins Leere führt.
Youtube verweist in einer Antwort an das RND im Herbst auf seine strikten Richtlinien, die im Bezug auf Identitätsdiebstahl angeblich gelten würden – man würde auch Millionen solcher Profile entfernen. Bis heute scheint das Problem aber trotzdem nicht gelöst.
Zum Fall von Marie Hoffmann erklärte eine Meta-Sprecherin vergangenen Herbst, man habe nach dem Hinweis durch das RND „drei Instagram Accounts und 71 Facebook Accounts entfernt“. Tatsächlich existierten von der Influencerin aber hunderte Profile – und das ist auch bis heute so. Immerhin: Wer heute Anja Kohl in die Facebook-Suche eingibt, wird dort inzwischen nicht mehr fündig – was darauf hindeutet, dass Meta durchaus technische Möglichkeiten besitzt, Fake-Profile zu verhindern.
Der Würzburger Rechtsanwalt Chan-jo Jun will dem Treiben nicht länger tatenlos zusehen. Er ist bereits zweimal gerichtlich gegen die Plattform Tiktok vorgegangen, weil es Fake-Accounts seiner eigenen Person gab. Mit seinen Bestrebungen war er erfolgreich – doch behoben ist das Problem noch immer nicht.
„Im ersten Verfahren gab es einen Fake-Account, der mehrere Videos heruntergeladen und neu veröffentlicht hatte“, erklärt der Anwalt dem RND. Juns Profil sei dabei identisch nachgebildet worden, inklusive Profilbild und Beschreibung. Anschließend habe der Account Nutzerinnen und Nutzer angeschrieben, um Crypto-Investments zu veranlassen. Eine Meldung der Accounts sei, wie auch bei Influencerin Vegetario, völlig ins Leere gelaufen.
Schließlich habe seine Kanzlei Tiktok abgemahnt und der Account sei entfernt worden. „TikTok verweigerte jedoch die Abgabe einer Unterlassungserklärung, mit der auch die künftige Entfernung solche Accounts vorgesehen wäre. Daher hatten wir beim LG München I eine einstweilige Verfügung beantragt und erhalten.“
Später sei dann erneut ein Fake-Account aufgetaucht, der ebenfalls trotz Meldung nicht verschwand. „Tiktok hat erneut verstoßen und erneut unsinnige Argumente vor Gericht vorgebracht (...)“, so Jun. „Das Gericht hatte für diesen Unsinn wenig Verständnis und am letzten Freitag (Anmerkung der Redaktion: am 4. Juli) erneut eine einstweilige Verfügung erlassen“, berichtet der Anwalt.
Der Fall könnte für den Socialmedia-Konzern noch Folgen haben, glaubt Jun. Zum einen habe er bereits Fälle gemäß der Digitalgesetze an die EU gemeldet. Zum anderen versucht es Jun weiterhin über den juristischen Weg.
„Wir haben parallel ein Ordnungsmittelverfahren angestrengt, das noch läuft. Dort wären neben Ordnungsgeldern auch die Anordnung von Ordnungshaft von bis zu 6 Monaten (vollstreckbar an Geschäftsführer) möglich, wenn Tiktok das weiter so betreiben will.“
rnd