Die Krawatte ist zurück: Warum Schlips tragen wieder cool ist

Erinnern Sie sich? Es gab eine Zeit, da saßen wir bei Business-Meetings in Blumenwiesen und verglasten Lofts – zumindest virtuell. Obenrum Hemd, untenrum Jogginghose. Das war der Style der Deutschen während der Corona-Pandemie. Sieht ja keiner.
Dass das Virus auch der Krawatte – Achtung Wortspiel – an den Kragen gehen würde, das hatte zu diesem Zeitpunkt kaum einer im Blick – zumindest nicht in der Normalbevölkerung. Anders Tanja Croonen vom Modeverband „German Fashion“: „Mit Corona gab es einen sehr starken Rückgang bei der Einfuhr von Krawatten. Das war vielleicht der Killer“, sagt sie.
Laut den neuesten Zahlen des Statistischen Bundesamtes hat sich die Stückzahl der importierten Krawatten und Schleifen – kaum ein Unternehmen produziert noch in Deutschland – von rund 8,6 Millionen im Jahr 2019 auf rund 4,3 Millionen im Jahr 2020 halbiert. 2021 waren es noch mal eine Million weniger.
Das lag an der gesamtwirtschaftlichen Lage, aber eben auch am Kleidungsstil: „Während der Pandemie gab es einen starken Rückzug ins Private. Damit wurden die Bekleidungsvorschriften noch mal gelockert“, sagt Croonen. Ein Trend, der sich schon seit den 90er-Jahren zeige: „Bis dahin galt eine Bekleidungsordnung, bei der die Krawatte ein Statement für Seriosität war. Das hat sich im Laufe der Zeit gewandelt, unter anderem durch modische Einflüsse aus den USA“, erklärt Croonen.
Auch das zeigen die Zahlen: Während 2014 noch 14,4 Millionen Krawatten und Schleifen in die Bundesrepublik importiert wurden, waren es 2023 nur noch knapp 4,8 Millionen. Croonen sieht darin auch einen gesellschaftlichen Wandel: „Weil die Welt offener und toleranter geworden ist, gibt es diese Bekleidungsvorschriften nicht mehr.“

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Wird der einst geliebte und nun verpönte Seidenbinder also bald endgültig aussterben?
Dazu später mehr. Zunächst lohnt sich ein Blick in die Geschichte, denn das Ursprungsmodell der heutigen Krawatte dürfte bereits rund 400 Jahre alt sein: Im 17. Jahrhundert trugen Söldner der kroatischen Kavallerie, die im Zuge des Dreißigjährigen Krieges auch in die französische Armee eingezogen wurden, Halstücher mit zwei herunterhängenden Enden.
Das gefiel dem französischen König Ludwig XIV. offenbar so gut, dass er mit diesem Accessoire fortan seine Rüschen überdeckte. Seine Krawatte hatte Bänder aus Spitze und Seide, doch als sich die Mode in ganz Europa verbreitete, nahm sie die verschiedensten Formen und Farben an.
Die heutige Krawatte erfand der Schneider Jesse Langsdorf in New York: Er kam 1926 auf die Idee, sie diagonal in drei Teilen quer über den Stoff zuzuschneiden. Einen Hauch ihres kroatischen Ursprungs hat die Krawatte der Legende zufolge dennoch beibehalten: Demnach entstand aus dem Wort für Kroate, Hrvat, die französische Bezeichnung Cravate, also Krawatte.
Zurück ins Heute. Ist der „Casual Look“ nun also der Tod der Krawatte? Nicht ganz. „Bei Festivitäten ist die Krawatte nach wie vor ein fester Bestandteil“, sagt Barbara Pauen. Sie ist Chefin des Krefelder Krawattenherstellers „Ascot“. Das auf hochwertige Krawatten aus Seide spezialisierte Familienunternehmen ist mit seiner Schwesterfirma Hemley nach Pauens Angaben der einzige Hersteller, der noch in Deutschland produziert.
Barbara Pauen, Chefin von „Ascot"
Doch nicht nur bei Hochzeiten gehört die Krawatte noch zum Look – auch in der Modebranche ist sie wieder im Kommen. „Auf den großen Modeschauen und Messen sieht man wieder deutlich mehr Krawatten“, sagt Pauen. Ein Trend, den auch Antonio Gea, Geschäftsführer von „Tie Solution“ beobachtet. Das Unternehmen produziert Modeaccessoires, wie Krawatten, Schals und Einstecktücher, für Firmen, also vor allem im B2B-Bereich.
Das Überraschende: „Auch die Damenmode wird mittlerweile mit Krawatten geschmückt“, sagt Gea. Hier seien besonders bunte und bedruckte Krawatten in Mode. Aber auch im Bereich der Herren seien knallige Farben, wie lila, gelb oder orange, angesagt, erklärt Gea. Aber: „Das kommt nicht von heute auf morgen beim Kunden an“, sagt Barbara Pauen von „Ascot“. Bis sich ein Trend vom Laufsteg in die Gesellschaft durchschlägt, dauere es teilweise drei bis vier Jahre.
Wer also jetzt Krawatte trägt, könnte Trendsetter sein. Oder? „Ich glaube, dass gerade junge Leute wieder mehr Spaß an der Krawatte haben, weil sie ein Unterscheidungsmerkmal ist“, sagt Pauen. Während man sich zu Beginn des Krawattensterbens von anderen damit abhob, dass man die Krawatte plötzlich wegließ, sei es nun andersherum. „Mode passiert immer in Wellen“, erklärt Pauen.
Aber sie sagt auch: „Ich glaube nicht, dass die Krawatte wieder zum Mainstream wird. Die Kleiderkonventionen haben sich geändert und das kann man nicht mehr zurückdrehen.“ Vielmehr verlagere sich der Trend noch weiter von der Masse in die Nische. Das sehen auch Tanja Croonen vom Modeverband „German Fashion“ und Antonio Gea von „Tie Solution“ so.
Das Unternehmen hat übrigens eine der teuersten Krawatten der Welt hergestellt: die Pietro Baldini Diamond. Materialien: feinste italienische Jacquard-Seide und ein Vier-Karat-Welton-Diamant. Preis: knapp 200.000 Euro. Wer sich also so richtig abheben will, fängt am besten schon mal an zu sparen. Exklusivität hat schließlich ihren Preis.
rnd